Wo früher das schwarze Gold ans Licht geholt wurde, werden heute Ideen gefördert“, sagt Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zollverein. „Dazu braucht es wieder mutige Menschen. Gefragt sind Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Forschende, die das industrielle Erbe schätzen und zugleich neue, zukunftsweisende Perspektiven eröffnen.“ Im Laufe der vergangenen Jahre konnte Zollverein einige dieser Ideenförderinnen und -förderer für Gründungen begeistern. Die entstandene Innovations- und Wirtschaftskraft hebt den Standort auch im Vergleich zu anderen UNESCO-Welterbestätten deutlich hervor.
Kreative Impulse
Vor allem die zentrale Lage und die berühmte Adresse waren ein wesentlicher Faktor für die Ansiedlung von MMID auf Zollverein. Die kreativen Produktentwickler bezogen 2016 im sogenannten Kammgebäude auf der Kokerei einen Bürotrakt mit Labor und Showroom. Nach fünf Jahren im Gründerzentrum Triple Z, das ebenfalls zu Zollverein gehört, aber außerhalb des Standortes liegt, war es ihnen dort zu klein geworden. „Essen ist für uns die richtige Adresse, zentral gelegen mit guter Anbindung an die Hochschulen im Ruhrgebiet und ebenso zu den Niederlanden.
Zollverein ist zudem die bekannteste Adresse in der Region. Die fantastische Atmosphäre des Kammgebäudes rundet das Ganze ab“, erzählt Geschäftsführer Nils Müller. Das Unternehmen hat niederländische Wurzeln, Essen war der erste deutsche Standort. Danach folgten Ulm und Lübeck. Mittlerweile haben die Produktentwickler einen Sitz in den USA in Providence. MMID bedient mit seinen Entwicklungen viele Branchen – von Medizinprodukten über Lösungen für Klimasysteme bis hin zu komplexen und nachhaltigen Automatisierungssystemen. Produkt-Designerinnen und Designer arbeiten Hand in Hand mit Elektro und Maschinenbauingenieurinnen und -ingenieuren. Rund einhundert Projekte werden so pro Jahr bearbeitet. Eines der Vorzeigestücke ist ein nkubator für Frühgeborene, der zentral im Showroom steht und mit dem Red Dot Design Award ‚Best of the Best‘ und weiteren Preisen ausgezeichnet worden ist. „Wir haben auf Messen, unter anderem in Dubai, bereits Nachahmer aus Asien gesehen“, sagt Nils Müller nicht ohne Stolz – eine schöne Bestätigung der Leistung. Zollverein dient den Produktentwicklern als Inspiration. „Bei Kunden und ebenso bei den Kolleginnen und Kollegen von den anderen Standorten kommt das Welterbe sehr gut an“, sagt Nils Müller. Er selbst ist in Essen aufgewachsen und freut sich, auf Zollverein zu arbeiten.
Zehn Jahre Grand Hall
Eine große Verbundenheit zum Standort hat auch Tom Koperek. Er bezeichnet sich selbst als echten Lokalpatrioten. Der geschäftsführende Gesellschafter der Grand Hall Zollverein startete im Jahr 1997 mit der LK-Gruppe, einem der führenden Unternehmen der Veranstaltungswirtschaft in Deutschland, auf Zollverein in Halle 10. Nach zehn Jahren erfolgte der Umzug nach Essen-Kray, weil viel mehr Raum für das Business nötig war. 2014 ergab sich dann die Chance, mit der Grand Hall wieder nach Zollverein zurückzukehren. Die ehemalige Kompressorenhalle auf der Kokerei ist mit 4.000 Quadratmetern auf drei Ebenen eine der beeindruckendsten und größten Eventlocations der Region. Insbesondere für Firmenevents wird die Grand Hall gerne gebucht. Im Oktober wird beispielsweise Brenntag, der Weltmarktführer in der Distribution von Chemikalien, die Vorzüge der Eventlocation nutzen. Angekündigt ist dazu sogar der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz.
Das schönste Event war im Oktober 2021. „Da haben wir mit ‚Der Pott kocht wieder‘ innerhalb der Veranstaltungsbranche dort selbst eine große Party gefeiert. Endlich konnten wir nach der Corona-Pandemie wieder arbeiten“, erinnert sich Tom Koperek gerne. Ansonsten arbeiten die Eventmacher eher im Hintergrund. „Unser Ziel ist es immer, dass unsere Kunden einzigartige Events in der grandiosen Kulisse der Industriekultur erleben“, erklärt er. Den Standort hält er für bestmöglich geeignet. „Zollverein ist eine absolute Erfolgsgeschichte.“
Historie trifft Forschung
Die Forschenden des Erwin L. Hahn Instituts (ELH) sitzen bereits seit 2006 im ehemaligen Leitstand der Kokerei. Insgesamt sind neun Forschungsteams, bestehend aus etwa 50 Mitarbeitenden, tätig, aber nicht alle ständig auf Zollverein präsent. Dort haben etwa 15 Mitarbeitende ihren Hauptarbeitsplatz. Durch die interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit am ELH wird die UltraHochfeld-Magnetresonanztomographie erforscht, weiterentwickelt und angewendet.
Herzstück des nach dem US-amerikanischen Physiker Erwin Louis Hahn (19212016) benannten Instituts ist der Ganzkörper-Magnetresonanztomograph (MRT) Magnetom Terra 7Tesla, der wesentlich intensivere Detailauflösungen als herkömmliche MRTs in Kliniken liefert. Dafür wiegt der MRT auch 20 Tonnen, der Untersuchungsraum wird mit 420 Tonnen Stahl in den Wänden abgeschirmt. Ziel der Forschenden am Institut ist es, die physikalischen und technischen Herausforderungen des Systems zu überwinden, damit das Gerät künftig in Kliniken eingesetzt werden und dort sein volles Potenzial ausschöpfen kann.
Als hochschulübergreifende wissenschaftliche Einrichtung der Universität Duisburg-Essen und der Radboud Universität, Nijmegen, ist das UNESCO-Welterbe Zollverein für das ELH aus mehreren Gründen attraktiv: Es verbindet und vernetzt seit fast zwanzig Jahren die universitären Standorte im Ruhrgebiet sowie in den Niederlanden und ermöglicht durch die zentrale Lage auf dem Gelände abseits von Hauptverkehrsstraßen möglichst störungsfreie Messungen am hochsensiblen Magnetom 7TeslaMRT.
Darüber hinaus ist der denkmalgeschützte Leitstand der Kokerei auch als Gebäude äußerst repräsentativ, (inter)nationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzen gerne die Gelegenheit, vorbeizuschauen. „Als öffentlich geförderte Einrichtung liegt dem ELH auch die Öffentlichkeitsarbeit sehr am Herzen. Die Lage auf dem UNESCO-Welterbe zieht bei Events wie der ExtraSchicht oder Türen auf mit der Maus auch Gäste an, die ihren Besuch dann mit einem Spaziergang auf dem Areal verbinden, sodass sich hier spannende Synergien für das ELH und Zollverein selbst ergeben“, sagt Geschäftsführerin Dr. Franziska Günther.
Innovationen dank Open Space
Seit nunmehr fünf Jahren hat die weltweit in 120 Ländern aktive Unternehmensberatung Accenture dem Schalthaus auf der Kokerei neues Leben eingehaucht. Rund 50 Mitarbeitende sind im sogenannten Innovation Center tätig. Der Fokus auf Zollverein liegt auf Kunden der Rohstoffindustrie. Dazu zählen die Chemiewirtschaft, die Öl und Gasindustrie, die Stahlindustrie und die Energiewirtschaft. Der Beratungsansatz von Accenture ist ganzheitlich und folgt einer sogenannten Innovationsarchitektur von der Problemstellung bis zur Umsetzung.
Neben der Entwicklung von Prototypen ist das dreistöckige Gebäude vor allem auf Workshops ausgerichtet. Digitalfachleute von Accenture entwickeln hier gemeinsam mit Kundinnen und Kunden neue Lösungen für ihre jeweilige Industrieanwendung. Einige dieser so entstandenen Prototypen werden auf der unteren Ebene als DemoShow Cases präsentiert. Themen wie Virtual Reality oder Cyber Security kommen im Kontext der Kundinnen und Kunden zur Anwendung. Ein Grund für die Ansiedlung auf Zollverein ist die zentrale Lage in Europa und die Nähe zu den Hochschulen in Duisburg-Essen, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund und weiteren.