Am 27. Mai 2023 ist der Schriftsteller, Künstler, Sammler, Friedensaktivist, Hüter der Geschichte unserer Region und Bewahrer des Bergbaus im Alter von 86 Jahren verstorben. Friedlich eingeschlafen im Kreise seiner Liebsten, so teilen es seine Kinder mit, nicht einmal ein halbes Jahr nach dem Tode seiner geliebten Ehefrau Christa, die oft mit ihm auf dem Treppenabsatz in der Sonne saß.
Ein Zollverein-Pionier sei er gewesen, so schreiben es die Medien am Tag nach seinem Tod, und es wird ihm nicht gerecht, weil er so viel mehr war, und es stimmt doch, weil er der erste Künstler war, der in der Stilllegung des einst größten Steinkohlenbergwerks das enorme Potenzial und nicht den Inbegriff des Niedergangs einer ganzen Region sah. Er verwandelte das „Maschinenhaus zu einem Menschenhaus“, wie er zu sagen pflegte, indem er dort einzog und Mauern durch Türen ersetzte. Bis vergangenes Jahr lebten die Eheleute Rother in dem Gebäude, verwischten die Grenzen zwischen Museum und Wohnraum.
Wer seine Sammlung besuchen wollte, fand Öffnungszeiten auf der Zollverein-Homepage und die Bitte, das Telefon lange klingeln zu lassen oder laut zu klopfen. Aufsichten und Tickets gab es keine, Rother führte persönlich durch den Kunstschacht, in seinem Tempo. Dabei gab es in drei Jahrzehnten wohl kaum eine Begegnung oder eine Führung durch die Sammlung, die einer anderen glich. Rother ließ sich auf sein Gegenüber ein, setzte Akzente, hatte zu jedem Thema etwas zu sagen, war mit einem scharfen Verstand gesegnet, bis ins hohe Alter, und stets, wenn man glaubte, dass Teile des eben Gehörten seiner Fantasie entsprungen sein mussten, präsentierte er ein Exponat, das alles belegte. Oft gab er seinen Gästen passende Literatur zum Abschied mit, nicht immer von ihm verfasst, aber in jedem Fall gelesen und mit Anmerkungen versehen.
Thomas Rother war ein Chronist des Ruhrgebiets-Wandels, den er selbst mitgestaltet hat. Seine großformatigen Werke muten oft Industrie-inspiriert an und sind nicht weniger häufig politisch und pazifistisch, sie hängen in der Zollverein-Direktion ebenso wie in Memphis im Museum. Der Intellektuelle Rother hat Spuren in den Leben von zahlreichen Menschen hinterlassen. Ganz früher, als sich die Nachkommen der Bergleute die Nasen an seinen Scheiben plattdrückten, weil dahinter einer war, der die überflüssig gewordenen Werkzeuge sammelte und wertschätzte. Etwas später, als das Gelände um seinen Kunstschacht zum Welterbe der UNESCO erklärt wurde und aus der verbotenen Stadt ein Magnet für Besucher aus aller Welt und der Bergbau fast romantisiert wurde.
Und auch neulich, kurz vor seinem Tod, etwa als eine Gruppe von Geflüchteten aus der Ukraine zufällig den Weg nach Zollverein fand, in seinem Kunstschacht landete und er die richtigen Worte fand – und natürlich das passende Exponat seiner Sammlung zeigte, das die Ungerechtigkeit des Krieges und die Solidarität Europas beschrieb, als so viele sprachlos auf den Angriffskrieg Russlands blickten.
Wir werden diese Stimme vermissen. Thomas Rother wird fehlen.
Er hat den Bergbau und seine Geschichte bewahrt, doch nie war er pathetisch oder nostalgisch, stets war er zukunftsgewandt. Und so hat er natürlich Gespräche geführt, als er merkte, dass die Tage, an denen er auf dem Treppenabsatz saß und Gäste empfing, beschwerlicher wurden und der Winter sich vor seinem kleinen Ofen, der die riesige Halle nie ganz heizte, noch kälter anfühlte.
In der großen Trauer um den verlorenen Freund findet die Stiftung Zollverein etwas Trost in der Tatsache, dass im Sinne des Verstorbenen und mit großer Unterstützung seiner Kinder bereits feststeht, wie sein Andenken in Ehren gehalten wird. Der Erhalt seines geistigen und materiellen Nachlasses soll mit Hilfe einer neuen Stiftung garantiert werden, sodass sein Schaffen nicht in Vergessenheit gerät, auch wenn die so lieb gewonnene Stimme schweigt, und sein Platz auf dem Treppenabsatz im Schatten des Fördergerüstes leer bleibt.
Ein stilles Glück Auf.