Eine Schnecke kann das Raum-Zeit-Kontinuum in einem Leben mit Kindern völlig über den Haufen werfen. Auf ihrem ganzen Weg quer über den Bürgersteig muss sie beobachtet werden, während die Zeit drängt und zugleich stillzustehen scheint, weil man am selben Ort verweilt. Ein Ort, an dem man hervorragend verweilen und dabei über derlei Phänomene nachdenken kann, ist das Phänomania Erfahrungsfeld im und um das Fördermaschinenhaus der Zollverein-Schachtanlage 3/7/10. Denn hier kann man spielerisch naturwissenschaftliche Phänomene entdecken und die Welt mit allen Sinnen erfahren.
Die Welt entdecken
So wie mein vierjähriger Sohn, der beim Betreten des ersten Raums gar nicht weiß, an welcher Station er anfangen soll, so begeistert ist er. Erst mit Nägeln der Magnetkraft eine Brücke bauen? Mit nackten Füßen über verschiedene Untergründe laufen? Oder doch gleich weiter in einen der anderen Räume. Die Phänomene von Licht und Schall erkunden. Einen Feuertornado entstehen sehen. Sich vor den Zerrspiegeln scheckiglachen. Meine anderthalbjährige Tochter mischt begeistert mit. Greift vor Entzücken quietschend nach einem Ball, der im Luftstrom schwebt. Tastet in blickdichten Gefäßen nach allerlei Gegenständen – hart, weich, rund, eckig. Das Phänomania Erfahrungsfeld wächst mit: Mit den Jahren können Kinder die Ausstellung immer wieder neu entdecken. Mit wachsendem Erfahrungshorizont verschieben sich die Eindrücke und ich freue mich schon jetzt darauf, die Ausstellung mit meinem Sohn aufs Neue zu erkunden, wenn er erst einmal Schulkind ist.
150 Stationen
Zurück geht die interaktive Ausstellung auf den Essener Pädagogen und Künstler Hugo Kükelhaus. Der präsentierte sein „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne“ erstmals 1967 auf der Weltausstellung in Montreal. Danach wurde es an über 60 Orten im In- und Ausland gezeigt, erhielt 1996 auf Zollverein eine feste Heimat und wurde später um weitere Stationen ergänzt. Heute laden insgesamt 150 Stationen zum Experimentieren ein. Und zum Wahrnehmen: tastend, lauschend, riechend – und sehr genau hinschauend. Nur schmecken wird ausgespart, sieht man davon ab, dass die Kleine hier und da an einer Scheibe oder Metallstange zu lecken versucht. Dafür kann man im Museumscafé bei Kuchen und Snacks den Geschmackssinn testen. Und dann vielleicht nach draußen, aufs Außengelände des Erfahrungsfelds rund um den Förderturm der Schachtanlage. Per Kugelpendel das Prinzip der Impulserhaltung erforschen. Den Gleichgewichtssinn auf der Drehscheibe testen. Und schließlich mutig hoch auf den Förderturm steigen, um von dort den Blick schweifen zu lassen, ehe die Kinder zum krönenden Abschluss eine Überraschung überreicht bekommen und wir uns auf den Heimweg machen.
Im Hier und Jetzt
Die Kinder sind glücklich. Und auch wir Großen hatten allen Grund zu staunen. Nicht zuletzt darüber, wie erholt wir uns nach zwei Stunden auf dem Erfahrungsfeld fühlen. Wie gut es tut, in einem Leben, in dem wir dauernd managen, planen, den berühmten Mental Load mit uns herumtragen, uns ganz und gar einzulassen auf die sinnliche Erfahrung des Hier und Jetzt. Zu Hause angekommen entdeckt meine Tochter eine Schnecke auf dem Gehweg. Wir hocken uns hin und beobachten. Zeit und Raum sind relativ.