Wer die von außen recht nüchtern wirkende ehemalige Salzfabrik an der Heinrich-Imig-Straße betritt, wird noch im Eingangsbereich auf doppelte Weise überrascht: zum einen von der spektakulären Innenarchitektur, die schon im Erdgeschoss den Blick in die drei hoher liegenden Ebenen freigibt, zum anderen von der gewaltigen Anzahl der ausgestellten Objekte, die sich bereits an der Türschwelle erahnen lasst. „Die ästhetische Qualität des Gebäudes ist herausragend. Mit seiner Transparenz werden wir Aufmerksamkeit erzielen“, schwärmt Prof. Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums und Mitglied des Vorstands der Stiftung Zollverein, während er auf die Ein- und Durchblicke verweist, die das neue Schaudepot Besucherinnen und Besuchern ermöglicht. Die besondere Binnenstruktur des Gebäudes mit seinen Lichthöfen sorgt dabei für ein einmaliges Raumerlebnis. Der Weg durch das außergewöhnliche Museumslager verlauft von oben nach unten und ähnelt daher dem Parcours, den der Architekt Rem Koolhaas für das Ruhr Museum gewählt hat. Mit dem gläsernen Panoramaaufzug geht es in die oberste Etage. Schon während der Fahrt bietet sich ein faszinierender Blick durch die Epochen. Oben angekommen, beginnt der Gang durch die Zeit chronologisch mit den ältesten Sammlungsstucken der Geologie und fuhrt über die Archäologie und die vormodernen Bestande des Mittelalters und der frühen Neuzeit in den Bereich der Industrie- und Zeitgeschichte der letzten 200 Jahre und zurück ins Erdgeschoss.
Blick hinter die Kulissen
Insgesamt 25.000 Objekte aus der geologischen, archäologischen und historischen Sammlung des Ruhr Museums sind im Schaudepot ausgestellt. Der Fußabdruck eines Dinosauriers und ein Mammutschädel gehören ebenso zu den Exponaten wie antike Amphoren, mittelalterliche Helme und Rüstungen, Möbel aus der Renaissance, nostalgische Röhrenradios aus dem vergangenen Jahrhundert und Grubenlampen aus dem Bergbau. Im Rahmen von Führungen können Besucherinnen und Besucher nun durch über 100 Jahre Sammlungsgeschichte streifen, spannende Fakten zu einzelnen Schlüsselobjekten erfahren und gleichzeitig einen Blick auf die Arbeitsweise eines großen Museums werfen, das sich mit dem Sammeln, Bewahren und Erforschen natur- und kulturhistorischer Objekte beschäftigt. „Sehen können, was normalerweise nicht zuganglich ist, gehört zur Faszination des Konzepts“, betont Prof. Heinrich Theodor Grütter und erklärt, dass sich das Schaudepot damit deutlich von klassischen Museen unterscheiden wurde. Denn in der ehemaligen Salzfabrik sind keine Ausstellungen zu bestimmten Themen zu sehen. Vielmehr dient das Depot als Speicher für zukünftige Ausstellungen. Rund die Hälfte des gewaltigen Sammlungsbestands des Ruhr Museums war bislang nicht auf dem Areal des Welterbes, sondern an sechs Außenstandorten – unter anderem in Dorsten und Oberhausen – untergebracht. Mit der Eröffnung des Schaudepots können nun bis auf den Standort in der Essener Innenstadt alle anderen Lager geschlossen werden. „Damit sparen wir sogar Geld. Die Mietkosten für die fünf Lagerstatten waren insgesamt hoher als die Summe, die uns das neue Depot an Unterhalt kostet“, berichtet der Museumsdirektor. Zudem stehe jetzt in der Kohlenwasche wieder Platz zum Einlagern von Objekten zur Verfügung.
Alle Exponate sind digitalisiert
Neben dem aufwendigen Umbau der Salzfabrik war auch die Einrichtung des neuen Schaudepots eine Herausforderung. „Schon zwei Jahre vor dem Umzug haben wir mit dem Einpacken begonnen“, erinnert sich Dr. Frank Kerner. Der stellvertretende Museumsdirektor leitet das Projekt „Schaudepot“ und beschreibt das Bestücken des neuen Lagers im Ruckblick als Mammutaufgabe: „Zunächst mussten die Objekte, die wir im neuen Schaudepot zeigen wollen, ausgewählt werden. Unsere Kuratoren haben geplant, während sich die Restauratorinnen, Restauratoren und Hilfskräfte parallel um die Digitalisierung der Exponate gekümmert haben. Das war eine große Gemeinschaftsarbeit, an der nahezu alle Kolleginnen und Kollegen des Ruhr Museums beteiligt waren.“ Die Einrichtung des Depots hat rund ein halbes Jahr gedauert. Nun sei es eine Freude, die Exponate im Regal zu sehen, vor allem für Chefrestauratorin Melanie Dropmann, die jedes der 25.000 Schaudepot-Objekte im Prozess zumindest einmal in der Hand gehalten hat. Für die gestalterische Objektpräsentation und die Regalwände, die sich in Teilen verschieben lassen und so eine bestmögliche Raumnutzung gewahren, sorgte das Stuttgarter Büro Südstudio. Für den Innenarchitekten Hannes Bierkamper ist die ehemalige Salzfabrik ein Idealgehäuse für die Objektpräsentation: „Geordnete Sammlungen sind zur Anschauung gebrachtes Wissen. Dieses Gebäude mit seinen drei Ebenen und den verbindenden Lichthöfen steht geradezu sinnbildlich für das Prinzip der Ordnung.“
Text: Heike Reinhold