Frau Prof. Seeger, welchen persönlichen Bezug haben Sie zum Standort Zollverein?
Prof. Elke Seeger: Ich habe in Essen Freie Grafik und Fotografie studiert und auf Zollverein in Halle 2 im Oktober 1991 meine Abschlussarbeit präsentiert. Damals hieß das hier im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA noch Bauhütte Zollverein und ich war die erste und einzige Absolventin, die ihre Fotografien damals an diesem Ort präsentieren konnte. Zudem ist im Oktober 2017 mit der Eröffnung des Quartier Nord der Folkwang Universität der Künste auf dem UNESCO-Welterbe für alle Lehrenden ein großartiger Wunsch in Erfüllung gegangen.
Worin liegt der Reiz als Fotografin?
Prof. Elke Seeger: Zollverein zeigt sich im Frühjahr wie auch im Herbst in einem ganz besonderen Licht. Zudem ist es ein Ort, an dem sich Architektur und Geschichte in besonderer Weise visuell noch heute ablesen lassen. Gerade für ein Medium, das die äußere Welt für die Umsetzung von Wirklichkeitsvorstellungen nutzt, bietet der Standort Zollverein ein großes Potenzial. Zollverein ist ein Ort, mit dem man arbeiten muss – ein ganz wunderbarer, visionärer Ort, der Identität gibt.
Finden Sie Zollverein als Standort der Folkwang Universität und als Studienort besonders? Wenn ja, worin liegt Ihrer Ansicht nach die Besonderheit?
Prof. Elke Seeger: Zollverein hat für mich eine weltweite Ausstrahlung, von der wir alle profitieren. Studierende aus allen Teilen der Welt kommen hierher zum Quartier Nord. Unser neuer Standort vereint alle Bereiche der Gestaltung unter einem Dach und ist technisch hervorragend ausgestattet. Lehrende wie Studierende können zukunftsorientiert arbeiten, ausbilden und forschen. Unser Studienstandort auf dem UNESCO-Welterbe bietet uns eine besondere, bis dahin für uns unbekannte öffentliche Wahrnehmung.
Ist der Standort Zollverein ein zusätzliches Argument, an der Folkwang Universität Fotografie zu studieren?
Prof. Elke Seeger: Bei Vorlesungen haben wir manchmal Schwierigkeiten, uns auf den Lehrstoff zu konzentrieren, weil wir so gerne nach draußen schauen (lacht). Das Licht, welches der Architektur Zollvereins eine besondere Ausstrahlung verleiht, ist einfach zu verlockend. Im Ausbildungsschwerpunkt Fotografie bilden sechs Professorinnen und Professoren mit ihren unterschiedlichen Lehrgebieten ein breites Spektrum innerhalb der Fotografie ab. Zudem bieten wir mit der Bündelung von Theorie und Praxis für Studierende ein ganz besonderes Master-Studienprogramm an – im deutschsprachigen Raum einmalig. Dazu kommt die Nähe zum Ruhr Museum und damit zum Bestand einer der wichtigsten Sammlungen der Industriefotografie. Auch der Standort selbst regt zur künstlerischen Auseinandersetzung und zur Kreativität an. Er ist eben kein White Cube, sondern ganz real in all seinen Dimensionen. Ein Ort, der nach einer vertieften, zeitgenössischen, gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit seiner Funktion und seiner Geschichte verlangt.
Eine Universität prägt ihre Umgebung. Wie findet die Einbeziehung der Stadtteile statt?
Prof. Elke Seeger: Es gibt eine Reihe von Projekten, in denen Studierende mit Jugendlichen aus den Stadtteilen interagieren, beispielsweise das bereits 2017 gestartete Fotoprojekt Blickfeld Zollverein. In diesem Projekt leiten Studierende Jugendliche im Bereich der Fotografie an und erkunden das Welterbe und ihre Stadtteile. Die Fotografie bietet hier einfache Einstiegsmöglichkeiten, da bereits
jedes Smartphone über eine Kamera verfügt. Gleichzeitig fördert das Projekt herausragende Studierende, die im thematischen Zusammenhang mit der Identität von Zollverein arbeiten. Die Ergebnisse sind in einem Katalog gemeinschaftlich festgehalten worden. In einer Neuauflage werden wir dieses Jahr die aktuellen Ergebnisse der Jugendlichen im Juni in Halle 2 zeigen, zusammen mit fotografischen Installationen im öffentlichen Raum Zollverein, der gerade als Parcours von Studierenden erarbeitet wird. Die Einbeziehung findet aber auch auf weiteren Ebenen statt, nicht nur in der Fotografie. In dem gemeinsamen Nachbarschaftsprojekt „ein Stuhl am Wochenende“ mit der PACT Zollverein Werkstatt haben beispielsweise Studierende aus dem Bereich Industrial Design mit Bewohnern aus den benachbarten Stadtteilen Möbel nach ihren jeweiligen Vorstellungen gebaut.
Führen auch die Veranstaltungen der Universität zur Annäherung an die Stadt?
Prof. Elke Seeger: Wir geben unser Bestes. Im SANAA-Gebäudefindet während des Semesters eine thematische Kinoreihe statt, zudem eine philosophische Arbeitsgemeinschaft meines Kollegen Prof. Dr. Rautzenberg, die im Semester wöchentlich mit öffentlichem Diskurs stattfindet und sehr gut besucht ist. Unsere Galerie 52 und der jährliche Rundgang laden in das Quartier Nord ein, Gastvorträge, Tagungen, Workshops und Ausstellungen im SANAA sind öffentlich. Die Einbindung in die Stadtteile könnte aber noch besser sein, wenn wir studentische Ateliers und Wohnsituationen hier vor Ort realisieren könnten. Wir haben unsere Ateliers an der Viehhofer Straße aufgegeben, um diese in der Nähe unseres neuen Standorts anzusiedeln. Die dort bereits hervorragend etablierte Galerie 52 ist jetzt im Unigebäude selbst untergebracht. Leider haben wir bislang keinen Ort gefunden, der studentisches Arbeiten und Ateliers hier vor Ort ermöglicht. Dazu brauchen wir dringend die Unterstützung der Politik und von weiteren Akteuren hier am Standort.
Das Gespräch führte Guido Schweiß-Gerwin.